Bisher Glück gehabt

Masken basteln. Von wegen Hamsterkäufe – Pfadfindertugend: Well prepared.

Wieder ein so sonniger Tag. Blendet man mal aus, was uns bedrückt, dann wären wir doch glücklich über diesen wundervollen Frühling. Oder? Mal angenommen, Covid 19 wäre nicht – fühlten wir uns anders? Besser? Ich empfinde in diesen Tagen alles tiefer, da bin ich sicher. Ich kann mich nicht satt sehen, an all den Farben, kann nicht genug davon bekommen, der Nachtigall zuzuhören. Alles ist … besonders. So kostbar, noch kostbarer, als ich es je empfand. Vielleicht, weil es der letzte Frühling sein könnte? Man weiß es ja nicht…

Jeden Abend, wenn ich am Fenster stehe, so gegen 8, halb 9, wenn mein kleiner Freund zu singen anfängt, dann laufen oft auch Menschen die Straße herunter. Keiner hört ihn , keiner bleibt stehen, manche,haben Knöpfe im Ohr, starren auf ihre Smartphones, andere nicht. Sie hören die Nachtigall gar nicht, nehmen sie nicht wahr und wenn, dann hören sie irgendein Geräusch, irgendwas, das des Staunens, des Innehaltens nicht wert ist. Manchmal will ich einem zurufen “Hey, hör doch mal”, aber dann fürchte ich, ich störe ihren Gesang und der schöne Zauber wäre vorbei. Also schweige ich. Wundere mich. Frage mich, ob es eine Zeit gab, in der auch ich sie überhört habe…
Ob es eine Zeit geben wird, in der es sie nicht mehr gibt, die Nachtigall? Es gibt so viele Arten schon nicht mehr. Wir wissen das. Wir bedauern das. Wir wissen, das uns das alle betrifft – und spenden. An Greenpeace, den Bund für Naturschutz, die werden`s schon richten. Aber bevor sich manch einer der Freigiebigen bückt, um das Kraut aus seinen Natursteinfugen von Hand zu zupfen, da greift er dann doch lieber zum Spritzmittel. Steht ja “Bienenfreundlich” drauf. Dass die Insekten sterben…tja, nicht dran gedacht. Es hat eine so tiefe Bewußtlosigkeit um sich gegriffen, daß mich oft gruselt. Klar, wer so viel arbeitet, dem bleibt keine Zeit. Jedenfalls nicht zum überdenken der eigenen Handlungen. Man will sich ja auch entspannen, mehr als Fernsehen ist da nicht mehr drin. Ich kenn den Spruch noch sehr gut und ich hab ihn immer schon gehasst: Spare, lerne, leiste was – dann haste, kannste, biste was. Muss man alles heute nicht mehr. Heute ist das noch viel einfacher: Da haste Kredite, kannste was kaufen, biste verschuldet. Und von da an: musste leisten, kommste nicht mehr raus, aus der Tretmühle. Geld oder Leben ? Für viele ist das eine Frage, die sie sich nie gestellt haben. Sie leben ihr Leben lang schon “auf Pump”, erfüllen sich jeden Wunsch sofort – und zahlen später ab. Die erste Einrichtung, das erste Auto, die erste Eigentumswohnung, eine neue Einrichtung, ein neues Auto, das Haus…Die Verführung lauerte an jeder Ecke und die Verführer standen immer direkt daneben, bis zur nächsten Bank waren es nur ein paar Klicks im Internet. Und lief nicht alles gut? Sieht man mal davon ab, dass da gar keine Zeit mehr blieb zum leben, zum nachdenken. Auch keine Zeit für den Hund, den man schon immer hatte haben wollen – aber dafür gibt es ja Hundesitter. Auch kaum Zeit für die Kinder, Papa und Mama müssen ja arbeiten, das Leben ist immer teurer geworden. Aber kein Problem, es gibt Tagesmütter, Kitas, die Ganztagsschulen. Und all das kostete, mehr und mehr, ist immer teurer geworden und für all das musste noch mehr gearbeitet werden, während die Abgaben, die Ausgaben weiter steigen und steigen. Für Mieten oder Grundbesitzabgaben, Strom, Heizung, die Kosten für die Fahrten zur Arbeit und und und.
Und irgendwann stellt man dann fest, daß das alles so nicht gedacht war, es hatte doch schön sein sollen, das Leben. Nein, so war das nicht gedacht. Nicht von denen, die jetzt völlig ratlos in dieser Zeit stehen. Wohl aber von denen, die an all dem gut verdienten, an der Arbeit, an den Einrichtungen, den Autos, den Wohnungen und Häusern, den Krediten… Die haben daran gedacht. Von Anfang an. Und sie denken auch jetzt daran, denn sie ziehen immer aus allem Gewinn. Kurzzeitige Verluste können sie verschmerzen, für sie gibt es kein Ende. Für uns aber, ob arm oder mit bescheidenem Wohlstand stellt sich die Frage jetzt. Geld oder Leben? Wir werden uns ihr stellen müssen, auch, wenn wir bisher Glück gehabt haben sollten …
Nun singt sie wieder, meine kleine Nachtigall. Und wünscht uns allen eine Gute Nacht.
“Seid ohne Sorge” singt sie.”Es wird alles gut, wenn ihr es wollt. Und endlich anfangt, wahrhaftig zu leben.”