Frau Müllers Gespür für Plakatiefes.

Jetzt beschäftige ich mich seit einer Woche kaum mit etwas Anderem als mit Schildern, da stellen sich mir auch noch Plakate in die Wege. Ich weiß nicht, wie es Ihnen damit geht, aber für mich ist der Gang zum Markt derzeit sowas wie Spießruten laufen. Wo ich geh und steh, auf Schritt und Tritt, auf jedem verfügbaren Grünstreifen, an jeder Laterne: Wahlplakate. In allen Farben und Größen.

An der Ecke Langenhorner Chaussee / Foorthkamp gleich Neun (9) riesengroße Wände, mittendrin in der Botanik. Komplett zugestellt die Landschaft, nur ganz rechtsaußen ist noch Platz,  ich vermute mal, den wollten auch die nicht, denen er  zweifelsfrei zustünde. Die müssen ja sparen, die brauchen vermutlich ihr Geld für die Strafzahlungen aus der letzten „Wahlkampffinanzierung“. Wie auch immer: Herr Tschentscher, der Erste von allen Bürgermeistern, schaut gleich mehrfach staatstragend an der Ecke auf mich herab, versehen mit dem schönen Satz  „Ganz Hamburg im Blick“. Und damit er auch wirklich die ganze Kreuzung im Blick haben kann, ist er eben mit 3 Wänden vertreten. Vielleicht sollte ihm mal einer sagen, dass Langenhorn zu Hamburg gehört. Ich habe nicht das Gefühl, daß auch nur eines seiner realen Augen einen geneigten Blick auf uns geworfen hätte. Aber wo soll er denn hier auch hin? Langenhorn hat noch immer kein anständiges Bürgerhaus, da bleibt ihm ja nur die Elbphilharmonie, wenn er mal Klavier spielen möchte… Und selbst wenn es einer täte, also, ihm sowas sagte wie: „Du Peter, kuck mal da oben, dieses Langenhorn, im Norden, das kennen wir auch noch nicht. Wolln wir uns mal drum kümmern?“ – nutzt nix. Der findet uns ja nicht. Die Strassenschilder sind allesamt derartig verdreckt, der kommt hier nie an. Aber egal, man gewöhnt sich. Was auch immer ER im Blick hat: ICH hab es nicht. Ich kuck vor Wände… Was uns das wieder kostet! Und die ganzen Bäume, die für Holz und Papier einen so sinnlosen Tod starben. Für nix und wieder nix. Haben Sie je wegen eines Wahlplakates ihre Wahl getroffen oder verändert? Ich nicht. Und egal, wen ich treff – keiner kann es noch ertragen. Mich könnte man allenfalls durch Verzicht beeindrucken. Wenn einer mal, statt Plakaten, ein paar Kleinanzeigen im Wochenblatt drucken ließe: „Liebe Wähler, da, wo Sie die Landschaft noch sehen, haben wir für Sie diese schöne Lücke gelassen. Ihre Partei.“ Vielleicht würde ich mich dann dazu hinreissen lassen, das  Programm zu lesen. Aber nein, die Welt wird ohne Sinn mit vielen … Sprüchen zuplakatiert. Und damit hat der Tullus ja immer noch kein Ende. Als Nächste kommen diese Witzbolde, Sumos und Killefits, die ansonsten ganzjährig sämtliche Verteilerkästen grottenschlecht besprühen. Tags. In der Nacht. Die pinseln dann zur Abwechslung mal lustige Bärte, Brillen und Haare auf Plakatgesichter. Was mir ehrlichgesagt lieber ist: Wenn schon keine Kunst, dann doch wenigstens abbaubar!  Noch ein paar Tage später löst sich die ganz Plakatkunst, nach tagelangem Regen, von den Spanplatten, reisst sich selbst in Stücke und verkleistert das frische Strassenbegleitgrün. Eigentlich kann man nur hoffen, daß doch noch der Winter hereinbricht und das ganze Elend im Sturme verschneewehen lässt. Den Schildern macht das nichts aus, die freuen sich, weil Schneeflöckchen-Weißröckchen alles Moos und jedweden Schmutz mit Eisblümlein zudeckt. Die schlafen dann sicher in himmlischer Ruh und fühlen sich endlich auch mal rein. Ich hingegen muß da jetzt durch. Und Sie auch. Uns bleibt ja die Vorfreude auf die Zeiten danach. Wissen Sie ja: Kein Übel ist jemals von Dauer gewesen.